An(ge)dacht

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Liebe Leserin, lieber Leser,

es war ein schöner, friedlicher Frühsommermorgen. Die Sonne tauchte alles in ihr warmes Licht. Der Tag hätte nicht schöner beginnen können. Auf den Weg nach Kitzingen habe ich die Farben der Bäume und Sträucher bewundert, an denen ich vorüberfuhr. Traumhaft schön – dieses satte Frühlingsgrün. Ein friedlicher Morgen lag vor mir. Das dachte ich zu mindestens.

Plötzlich aber tauchte dieses Auto im Rückspiegel auf. Immer näher kam es. Fast bedrohlich. Es war, als wollte es mich noch ein bisschen anschieben. Fast berührten sich die Stoßstangen. Ein deutliches Zeichen: „Du – da vorne, jetzt, fahr doch endlich schneller. Du stiehlst mir die Zeit.“ Mehrfach wurde zum Überholen angesetzt. Zunächst vergebens. Im Rückspiegel sah ich den Fahrer wild gestikulieren. „Aus dem Weg – jetzt komm ich.“

Als ich die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit genau einhielt, wurde es dem da hinten zu bunt. Er zog nach links auf die Abbiegespur Richtung Sickershausen, gab Vollgas und hat mich überholt. Ein Blick zur Seite in das Gesicht des Überholenden offenbarte dessen ganzen Zorn. Wütend wurde mit dem Zeigefinger an die Stirn gedeutet.

Die wartenden Schulkinder an der Bushaltestelle bekamen davon wenig mit. Nur das Aufheulen des Motors riss sie kurz aus ihrer morgendlichen Schulmüdigkeit.

An der nächsten Ampel jedoch sahen wir uns wieder. Noch einmal wurde mir eindeutig signalisiert, was er da vorne von mir - jetzt dahinten - hielt. Kaum war die Ampel auf Gelb umgesprungen, schon quietschten die Reifen. Das satte Auspuffgeräusch übertönte alles. Ich aber ließ mich nicht aus der Ruhe bringen.

Denn eines ist in der Kitzinger Siedlung so sicher, wie das Amen in der Kirche. An der nächsten Ampel stand er wieder vor mir. Vor allem auch, weil in Kitzingen gefühlt jede Ampel, der man sich nähert auf Rot schaltet. Wieder und wieder stand er vor mir und musste warten, bis die Vorfahrt frei war. Nervös trommelte er nun mit seinen Händen auf das Lenkrad. Der Adrenalinspiegel forderte sein Recht. Wieder gab er Gas und zischte davon.

Später dann trennten sich unsere Wege. Er stand auf der Abbiegespur beim Falterturm neben mir. Er hatte Rot und ich hatte Grün. Und ich gestehe, dass ich ein wenig triumphierend ganz langsam und gemütlich an ihm vorbeigerollt bin.

„Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Dieser weise Satz steht in der Bergpredigt des Jesus von Nazareth. Selig sind sie, die Sanftmütigen, denn sie kommen gelassen an ihr Ziel. Nicht nur auf unseren Straßen, sondern auch auf den Wegen des Lebens. Allein schon als Autofahrer kann man das eigentlich jeden Tag erleben. Und irgendwie ist das, was sich auf unseren Straßen Tag für Tag abspielt, auch ein Spiegel unserer Zeit. Die Sanftmütigen aber, von denen Jesus spricht, können gelassen und rücksichtsvoll ihre Wege gehen, denn sie wissen, dass ein guter Hirte mit uns geht und uns letztlich ans Ziel unseres Lebens bringen wird.

Ich wünsche Ihnen eine schöne und gesegnete Sommerzeit. Für die Wege in den Urlaub und wieder zurück wünsche ich Ihnen diese Gelassenheit, die Gott den Sanftmütigen schenkt.

Ihr Pfarrer

Paul Häberlein