An(ge)dacht

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Liebe Leserin, lieber Leser,

vor vielen Jahren sind wir uns begegnet. Beide saßen mir mit strahlenden Gesichtern gegenüber. Ihr Glück war mit Händen zu greifen. Zur Feier ihrer Goldenen Hochzeit waren alle gekommen. Die Kinder und Schwiegerkinder waren da. Die Enkelkinder wirbelten durch das Wohnzimmer. Der Tisch war festlich gedeckt.

 Fünfzig Jahre waren sie nun miteinander verheiratet. Fünfzig Jahre hatten sie das Leben miteinander geteilt. In guten und in bösen Zeiten haben sie miteinander gelacht und geweint, gehofft und gebangt, gefeiert und geklagt. „Das schweißt zusammen, Herr Pfarrer!“ Und dann haben sie mir viel aus diesen fünfzig gemeinsamen Jahren erzählt. 

 Als ich mich schon verabschieden wollte haben sie dann noch folgendes gesagt. „Wissen sie, Herr Pfarrer, wir fahren noch jeden Monat nach Regensburg - zum Shoppen!“ „Das gönnen wir uns einfach!“

 Einmal im Monat geht es dann mit dem Zug nach Regensburg. Stundenlang bummeln sie durch die Fußgängerzone. Die Schaufenster und die Auslagen darin werden genau inspiziert. Und irgendwann sagt sie dann jedes Mal zu ihrem Mann. „Sind das nicht herrliche Dinge! Die Brosche, der Ring, der schöne Mantel und das herrliche Kleid, die goldene Uhr und die kostbare Tabakspfeife. Hast du das gesehen? Die Werbung für die Fernreisen im Reisebüro, und so vieles mehr.“ Dann macht sie jedes Mal eine kurze Pause. Und dann sagt sie jedes Mal: „Alles Dinge, die wir nicht mehr brauchen!“

 Und jeden Monat fahren sie dann wieder zufrieden mit der Erkenntnis nach Hause, dass ihnen ihr Leben eigentlich genügt.  Und das ist eine spannende Frage: Wann ist genug? Wann haben wir genug? 

 Auf mich jedenfalls strahlten beide damals eine tiefe Zufriedenheit aus. Ein bisschen habe ich sie um diese Zufriedenheit beneidet. Jahre später habe ich dann einen Satz von Mahatma Gandhi gelesen, den beide wohl zustimmen würden. Denn Gandhi sagt: „Reich wird man erst durch Dinge, die man nicht begehrt.“

 Und im Prediger Salomo im Alten Testament steht schließlich dieser so kluge Bibelvers: „Der Mensch, der da isst und trinkt und hat frohen Mut bei all seinen Mühen. Das ist eine Gabe Gottes!“ Dieser frohe Mut beim all unseren Mühen ist ein Geschenk, eine Gabe Gottes und letztlich Glück. Denn die Genügsamkeit hat überall genug. Und doch bleibt die Frage: Wann ist genug?

Ihr Pfarrer

Paul Häberlein